See Reality

Nach meinem weniger erfolgreichen, als durchaus entwürdigenden Gespräch mit meinem Englischlehrer, verließ ich den Raum, wenn auch nicht unbedingt so schnell wie die meisten Schüler, nachdem der Unterricht endlich sein Ende gefunden hatte.
Ich hatte erwartet, dass Sinja schon vorgelaufen war, einfach um die Pause zu nutzen oder schnellstmöglich in den nächsten Unterricht zu gelangen, aber meine Hypothese wurde durch ihre Stimme, die mich zum Warten aufforderte, widerlegt. Natürlich hielt ich sofort an, bis sie die wenigen Meter zu mir aufgeholt hatte, sodass wir nebeneinander gingen. Aus dem Augenwinkel sah ich einige Schüler, die uns, oder besser gesagt Sinja, ängstlich betrachteten. Kein Wunder, nach den neusten Geschehnissen sind wir keine Personen, mit denen man sich unbedingt anlegen sollte. Ihr Tonfall klang bei ihrer Danksagung durch und durch schüchtern, ein sehr ungewohntes Ereignis, vielleicht sollte man es in den Kalender eintragen, aber ich kannte sie nicht einmal lange genug, um zu sagen, ob der kalte, abweisende Ton für sie üblich war, oder ob sie einfach nur ihre Tage hatte. Eigentlich wollte ich möglichst wenig über ihren Menstruationszyklus in Erfahrung bringen.
"Ach, kein Problem. Ich kann dich doch schlecht einfach vor die Hunde oder gar den Englischlehrer werfen.", gab ich dann zurück
Auch ihr Lächeln war ziemlich.. ungewohnt. Ein anderes Wort hätte diesen Zustand gar nicht beschreiben können. Ich wartete nur auf den Augenblick, an dem sie mir sagte, dass es sich hierbei um versteckte Kamera handeln würde, aber dann wäre ich ziemlich schlecht dran gewesen. Stattdessen frage sie mich, ob ich ihr Nachhilfe geben würde, reflexartig antwortete ich : "Klar!", fügte dann aber noch ein : "Dann bin ich wenigstens nicht mehr der Einzige in der Klasse, der gut in Englisch ist.", hinzu.
Wenn man so darüber nachdachte, war es eigentlich keine gute Idee. Aber selbst, wenn sie nach dem Unterricht des heutigen Tages schon zu mir kommen würde, wäre Kaito schon längst weg, weshalb die Zusage eigentlich kein Hindernis sein sollte.
Ich überlegte kurz, aber sofort fiel mir wieder ein, dass es sich bei unserem nächsten Unterrichtsfach um Sport handeln würde. //Fuck.//, dachte ich nur, noch immer als Nachwirkung des Englischunterrichtes. Wir holten zunächst meine Sportkleidung aus dem Schließfach, bevor wir uns dann in Richtung Turnhalle aufmachten.

Ich war ehrlich gesagt ein wenig erleichtert, als Shouta zusagte, mir Unterricht zu geben. Ob ich dadurch wirklich letztendlich in Englisch besser wurde, war mal dahin gestellt, aber ich versuchte wenigstens, meinen Noten, oder Kenntnissen, je nachdem, etwas Gutes zu tun, was man vom Rest meiner wundervollen Klass ja nicht so unbedingt behaupten konnte. Während wir zu seinem Schließfach liefen um sein Sportzeug zu holen, war es ruhig, aber irgendwie sagte mir dieser Zustand nicht recht zu, weshalb ich versuchte, ein Gesprähc zu beginnen. Wirklich nur ein zaghafter Versuch. "Was ist eigentlich gerade in Sport dran?", wirklich interessieren tat es mich eigentlich nicht, egal was es war, Sport war dann doch mein Element. Handball, Basketball, Fußball, Volleyball oder am Ende doch Turnen? Vollkommen Schnuppe, Hauptsache, ich konnte mich mal so richtig austoben, um es so zu formulieren. Mittlerweile hatte ich mich wieder einbekommen, meine normale kalte Laune zurück und blickte fast ein wenig sehnsüchtig auf die sich nähernde Turnhalle. Dann fiel mir jedoch wieder etwas ganz anderes ein. Wie nebenbei griff ich in meine Hosentasche, holte eine Sechser-Tablettenverpackung hervor, die noch genau zwei von besagten enthielt. "Ich denke, ich werde sie eher nich brauchen. Falls die Wirkung von den letzten nachlässt.", ich drückte Shouta die Medikamente in die Hand und nickte ihm kurz zu, ehe ich wortlos wieder neben ihm herging. Sehr wohl hatte ich darafu geachtet, dass uns keiner sah, die Klasse war wohl etwa schon in den Umkleiden oder, was ich eher vermutete, hing noch irgendwo herum und würde zu spät kommen. Aber das schien ja hier eh Standard zu sein.